Stressabbau und die Pflicht gegen sich selbst

Liebe Leserin, lieber Leser,

Stress – manche sehen darin ein Modewort, andere eine Voraussetzung für das Leben schlechthin. Lange Zeit wurde zwischen positivem und negativem Stress unterschieden: Ersterer wird als interessante „Herausforderung“ empfunden, beispielsweise eine schwierige Angelegenheit zu meistern. Negativer Stress dagegen – eine bedrohlich und belastend empfundene Situation, kombiniert mit ungesunder Lebensweise – macht krank.
So dachte man lange Zeit. Heute weiß man: Auch positiver Stress kann krank machen, wenn er permanent besteht. Vielleicht kennen Sie auch solche Erfolgsmenschen, die ständig unter Hochdruck arbeiten (müssen), anscheinend bei bester Laune. Apropos Hochdruck: Nicht zuletzt Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Immunstörungen stehen in Wechselwirkung mit Dauerstress.

Wie können wir Abhilfe schaffen? Drei Tipps aus den üblicherweise genannten würde ich herausgreifen:
Legen Sie eine tägliche „To-do“-Liste der zu erledigenden Aufgaben an und streichen Sie diese nach deren Erledigung durch.
Das bringt Struktur in den Tag, denn Stress entsteht ja oft, weil man keinen Anfang und kein Ende mehr sieht. Wichtig: Der Erledigungszettel muss realistisch sein, sonst ist es eine Anleitung zum Stress statt Einstieg ins Stressmanagement.

Bewegung ist ein wichtiger Ausgleich, wirkt beruhigend auf das vegetative Nervensys-
tem.
Es muss nicht ein bestimmter Sport sein. Schon ein halbstündiger zügiger Spaziergang – oder sagen wir ruhig „Marsch“ – entlastet und erzeugt Kreativität. Damit kommen wir dem dritten Tipp, der Empfehlung eines Zeitmanagementtrainers sehr nahe:

Jeder Mensch sollte jeden Tag 20 Minuten nur für sich selbst reservieren – Zeit ohne Mobil-Phone, PC und andere Menschen. Nur die eigenen Gedanken gleiten lassen, am besten in der freien Natur.

Kennen Sie den „Kategorischen Imperativ“? Handle so, dass die Maxime Deines Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte. Immanuel Kant (1724–1804) hat ihn „erfunden“ bzw. als Basis der Ethik entdeckt. Kant wurde in Königsberg geboren, er studierte dort und starb in Königsberg. Zeit seines Lebens soll er nie aus Ostpreußen herausgekommen sein. Und trotzdem beeinflusst sein Denken die Philosophie bis heute.

Kant hat auch etwas zum Thema Stress zu sagen, wenngleich dieser Begriff damals noch nicht existierte. Der Erhalt bzw. „Anbau“ unserer Naturkräfte, wozu er Geistes-, Seelen- und Leibeskräfte zählte, sei „Pflicht des Menschen gegen sich selbst“. Kant empfahl sinngemäß, jeder Mensch solle das Leben gemäß natürlicher Rhythmen führen. Phasen der Anspannung und intensiven Arbeit müssen abwechseln mit Phasen der Entspannung, Ruhe und Muße. Regelmäßige Essens- und Schlafenszeiten sind einzuhalten.

Kants Philosophie der Lebensführung wirkt aus diversen Gründen „wie aus einer anderen Zeit“. Längst sind Ruhe, Zeit und Muße zum Luxus geworden angesichts von Berufs-, Familien- und Freizeitstress und der ständigen Sorge, irgend-etwas zu verpassen. Es hilft, (sich) daran zu erinnern: Zeit und Ruhe gibt es kostenlos, aber man muss sie suchen wollen – und dann wird sich auch so mancher Stress gut ertragen lassen …

Mit besten Grüßen

Ihr Dr. med. Rainer Matejka