Wozu beschäftigen wir uns (noch) mit Naturheilkunde?

Liebe Leserin, lieber Leser,

2014 begehen wir das 125. Jubiläum des Deutschen Naturheilbundes (DNB). Wir gedenken seiner Geschichte, in besonderem Maße auch dem nicht immer einfachen Engagement vieler ehrenamtlicher Helfer. Denn nicht überall rennt man mit „Naturheilverfahren“ offene Türen ein. Der Begriff wird heute vor allem mit Vinzenz Prießnitz und seinen Nachfolgern in Verbindung gebracht. Eigentlich setzten aber auch schon die Asklepiaden im alten Griechenland Grundprinzipien der Naturheilkunde ein: „Wenn Du nicht bereit bist, Dein Leben zu ändern, kann Dir nicht geholfen werden.“ Eine wahre Botschaft bis heute – die auch eine der größten Klippen für die Akzeptanz der Naturheilkunde darstellt.

War die Medizingeschichte bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts von „Erfahrungsheilkunde“ geprägt, so sind derartige Konzepte seit dem Zweiten Weltkrieg aus dem klinischen Bereich weitgehend verdrängt worden. Der vielzitierte medizinische Fortschritt stellt sich vor allem als technischer Fortschritt in der Diagnostik und bei operativen Verfahren dar. Ein Kritiker könnte angesichts dieser Erfolge behaupten, Naturheilverfahren seien überflüssig. In vielen Ländern, etwa in Schweden, gibt es keine Naturheilkunde in unserem Sinne, und die Menschen werden trotzdem älter als bei uns und gehen obendrein viel seltener zum Arzt.

Hat man dem Kritiker dann nur Minzeinreibungen bei Spannungskopfschmerzen und Efeublätter bei Husten als Beispiele für effektive Naturheilverfahren entgegenzuhalten, wird er erst richtig nachlegen und fragen, ob man einen akuten Herzinfarkt, eine Gehirnblutung, einen Darmverschluss, ein „Polytrauma“ bei Verkehrsunfall oder eine akute Schizophrenie mit Naturheilverfahren in den Griff bekommen könne? Man müsste kleinlaut auf alle Fragen mit „Nein“ antworten. Und man könnte viele weitere Beispiele nennen. Triumphierend würde der Kritiker anfügen, warum man sich dann überhaupt noch mit solch
anachronistischen Dingen beschäftige.

Doch jetzt kann der Anhänger der Naturheilkunde mit breiter Brust zum „Return“ ansetzen: Die Naturheilkunde könnte etwas ganz anderes, nämlich gleich das Gesundheitswesen retten. Und dazu braucht es nur drei ihrer Grundprinzipien: die „Eliminatio“, also das Weglassen schädigender Einflussfaktoren, sowie die Naturheilverfahren „gesunde Ernährung“ und „Bewegung“. Neuere Studien zeigen, dass durch drei Maßnahmen gut 80 % der Herzinfarkte und Schlaganfälle und etwa 36 % der Krebsfälle vermeidbar wären: nicht rauchen, mediterrane Kost statt fleischbetonter Hausmannskost und dreieinhalb Stunden Bewegung – in der Woche. Alles Dinge, die für (fast) jeden machbar wären. Es gäbe schlagartig weniger teure Zivilisationskrankheiten.

Schon kommt der Kritiker ins Stottern, aber jetzt legen wir nach: Die Naturheilkunde hat auch dort etwas zu bieten, wo die Gastroenterologie oft nur Omeprazol (Magensäureblocker) oder Movicol (Abführmittel), die Neurologie Lyrica (bei Nervenschmerzen) oder Ritalin (Stimulans), die Orthopädie Ibuprofen und Diclofenac (Schmerzmittel) verordnet – oder den Patienten mit Sprüchen wie „Damit müssen Sie leben“ entlässt.

Spätestens da zeigt sich: Wo das vielzitierte „integrative Denken“ wünschenswert wäre, herrscht oft gegenseitiges Unverständnis zwischen konventioneller Medizin und Naturheilkunde – leider! Nun ja, was nicht ist, könnte ja noch werden. In diesem Sinne, herzlich

Ihr Dr. med. Rainer Matejka