Was ist Liebe? Eine Frage, die so alt ist wie der Mensch selbst – und doch nie ganz beantwortet. Vielleicht, weil sie sich der Sprache entzieht, wie Wasser der Hand, die es greifen will. Liebe ist ein Gefühl, sagen die einen. Eine Entscheidung, die anderen. Für manche ist sie ein göttlicher Funke, für andere ein biochemischer Rausch. Und vielleicht ist sie all das – und noch mehr.
Liebe beginnt oft im Unsichtbaren. Ein Blick, der anhaftet. Ein Wort, das hängen bleibt. Ein Lachen, das nachhallt. Im Anfang wohnt der Zauber: leicht, luftig, wie Morgendunst – voller Möglichkeit. Wir sehnen uns nach ihr, weil sie uns erinnert: an Verbundenheit, an Heimat, an ein Gefühl von Ganzheit, das wir nicht erklären können. In der Liebe hören wir auf, nur „Ich“ zu sein. Wir werden zum Du, zum Wir – und manchmal sogar zum Alles.
Doch Liebe ist nicht immer sanft. Sie fordert uns heraus. Sie holt unsere Ängste hervor, unsere Schatten, unsere Wunden. Sie zwingt uns, ehrlich zu sein – mit uns selbst und mit dem anderen. In der Liebe zeigen wir uns nackt, nicht körperlich, sondern seelisch. Und genau darin liegt ihre Kraft: In der Bereitschaft, gesehen zu werden – und trotzdem gehalten zu bleiben.
Die Philosophen der Antike sahen in der Liebe eine Brücke zum Göttlichen. Platon sprach von der „agape“, der geistigen Liebe, die über das Körperliche hinausgeht. Aristoteles betonte die Freundschaft als höchste Form der Liebe – eine Beziehung, in der sich Tugend mit Zuneigung paart. Und auch heute, in einer Welt der Dating-Apps und schnellen Reize, bleibt diese Sehnsucht nach Tiefe bestehen. Nach einer Liebe, die nicht nur konsumiert, sondern verwandelt.
Vielleicht liegt darin das größte Paradox der Liebe: Sie macht uns verletzlich – und gerade darin stark. Sie wirft uns zurück auf uns selbst – und verbindet uns zugleich mit einem anderen Menschen auf unerklärliche Weise. Liebe ist kein Besitz, kein Versprechen auf ewig. Sie ist eine Bewegung, ein Werden, ein ständiger Tanz zwischen Nähe und Freiheit.
Und manchmal ist sie auch ein Spiegel. In dem wir nicht nur den anderen sehen, sondern uns selbst – klarer, tiefer, gnadenloser. Denn wer liebt, lernt sich kennen. In der Reibung, im Mangel, in der Fülle. Liebe ist nicht immer schön, aber sie ist immer echt. Und das ist vielleicht ihr größter Zauber: Dass sie uns zurückführt. Nicht nur zueinander – sondern zu uns selbst.
In einer Welt, die oft laut und rastlos ist, bleibt die Liebe ein stiller Raum. Ein Raum, in dem Zeit keine Rolle spielt, und Worte manchmal zu klein sind. Sie ist kein Happy End, sondern ein mutiger Anfang. Kein Besitz, sondern ein Geschenk. Kein Märchen, sondern ein Weg.
Ein Weg, den wir gehen – manchmal forschend, tastend, suchend und stolpernd. Aber nie umsonst.
Autorin
Verena Grein, Jahrgang 1983, Magistra Artium in Deutscher Philologie, Philosophie und Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft, ist Redakteurin und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Praxis in Kronberg im Taunus. Ihre Schwerpunkte liegen auf der systemischen Gesprächstherapie, der Hypnoanalyse und Hypnotherapie.