Die Leere in Beziehungen – Zwischen Schweigen und Möglichkeit
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Verena Grein, Heilpraktikerin für Psychotherapie

Die Leere in Beziehungen – Zwischen Schweigen und Möglichkeit

Es gibt ein Wort, das viele Menschen in Beziehungen fürchten: Leere. Sie klingt nach Abwesenheit, nach Vakuum, nach einem unheilvollen Nichts. In Partnerschaften, die doch so sehr von Nähe, von Wärme und Dialog leben sollten, kann das Erleben von Leere wie ein schleichender Schatten wirken. Plötzlich sitzt man gemeinsam am Frühstücks­tisch, die Tassen klirren, aber die Worte bleiben aus. Was früher gefüllt war von spontanen Gesten und leidenschaftlichen Debatten, ist nun ein Raum, der schweigt.

Doch was ist diese Leere? Philosophisch betrachtet ist sie keineswegs nur negativ. Der Buddhismus kennt das Konzept der „Shunyata“, der Leere, die nicht Abwesenheit, sondern Potenzial bedeutet: ein Raum, in dem Neues entstehen kann. Übertragen auf Beziehungen könnte die Stille zwischen zwei Menschen also ebenso gut ein Durchgang sein – ein Ort der Möglichkeit, nicht nur der Gefahr.

Gleichwohl: Im realen Alltag erleben viele Paare Leere als Distanz. Sie berichten von Nächten, in denen das Bett ein unüberwindbarer Graben ist. Von Tagen, an denen elektronische Kurznachrichten auf das Wesentliche reduziert sind: „Milch kaufen. Kind abholen. Später Meeting.“ Die Beziehung verwandelt sich dann unmerklich in eine Zweckgemeinschaft, deren Kommunikation effizient, aber nicht mehr lebendig ist.

Psychologen beschreiben dieses Phänomen als „emotional disengagement“ – den Rückzug aus der geteilten Welt der Gefühle. Leere ist hier nicht das reine Schweigen, sondern die Abwesenheit von Resonanz. Wer spricht, stößt ins Leere. Wer fühlt, bleibt unberührt. Und doch entsteht in dieser Spannung eine Frage, die tiefer reicht als jede Paartherapie: Was tun wir, wenn der Mensch neben uns zwar da ist, aber uns nicht mehr wirklich erreicht?

Leere kann aber auch ein Spiegel sein. Sie verweist nicht nur auf das Gegenüber, sondern auf das eigene Innere. Denn manchmal entsteht sie nicht aus mangelnder Liebe, sondern aus einer Überfülle an Erwartungen. Wer glaubt, dass der Partner jede innere Leerstelle füllen müsse – Einsamkeit, unerfüllte Sehnsüchte, nicht gelebte Träume –, wird unweigerlich enttäuscht. Die Leere in der Beziehung ist dann weniger ein Versagen des Anderen, sondern die schmerzhafte Erinnerung daran, dass wir selbst nicht vollständig sind.

In unserer Gegenwart, die ständig nach Erfüllung ruft – durch Konsum, durch Likes, durch ständige Verfügbarkeit –, wirkt die Leere doppelt bedrohlich. Sie konfrontiert uns mit der Zumutung, dass nicht alles gefüllt, nicht alles beantwortet, nicht alles sofort aufgelöst werden kann. Vielleicht liegt gerade darin ihre eigentliche Bedeutung: als Unterbrechung des unaufhörlichen Rauschens, als Moment, in dem wir uns fragen müssen, ob Beziehung wirklich nur dann „gut“ ist, wenn sie permanent belebt und bespielt wird.

Manche Paare erleben, dass sie nach dieser Phase der Leere eine neue Qualität finden: weniger Spektakel, mehr Tiefe. Andere erkennen, dass das Schweigen nicht der Anfang von Neuem, sondern das Ende von Altem ist. Beides hat Würde. Denn Leere zwingt zu einer Entscheidung: Wollen wir sie füllen, indem wir einander neu begegnen? Oder wollen wir sie akzeptieren als Zeichen, dass unsere Wege auseinandergehen?

Vielleicht ist das Wichtigste, Leere nicht reflexhaft zu verdammen. Sie kann zerstören, ja. Aber sie kann auch eröffnen. Sie kann uns zurückwerfen auf uns selbst und zugleich neugierig machen auf das, was entstehen könnte. In Beziehungen ist Leere nie bloß Abwesenheit. Sie ist ein Prüfstein. Ein Raum, in dem die Wahrheit, so still sie auch sein mag, hörbar wird.