Gestresst? Einfach mal ausschalten
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Bewusstsein

Gestresst? Einfach mal ausschalten

Dr. jur. Thomas Hartl

Wer heute erhobenen Hauptes ohne Smartphone in der Hand durch die Straßen geht, gibt sich als Angehöriger einer älteren Generation zu erkennen, die noch schwarz-weiß ferngesehen hat. Die meisten der im 21. Jahrhundert Geborenen kennen den Zustand „offline zu sein“ höchstens aus ihrer Kindheit. Abschalten kommt für viele nicht in Frage. Aber wie übersteht das unsere Psyche?

Ältere Menschen erinnern sich vielleicht noch an den klobigen Röhrenfernseher im Wohnzimmer, an Sendeschluss und Testbild, an Zeiten, in denen es nur drei Programme gab, und das Wort „zappen“ nicht existierte. Heute prasseln Informationen von mehr als hundert TV-Kanälen, dazu Internet, E-Mails, Facebook, Twitter, Youtube & Co, auf uns ein. Irgendwo zu sitzen, ohne einströmende Schlagzeilen, Kurznachrichten oder E-Mails, ist kaum mehr möglich. Die Unglücke dieser Welt flimmern in Echtzeit über den Bildschirm, eingebettet in Werbeblöcke, die Wünsche in uns wecken sollen, und uns suggerieren, dass der Kauf der angepriesenen Waren glücklich macht.

Man darf sich fragen: Kann das menschliche Gehirn all diese Reize unbeschadet verkraften? Oder bedeutet es eine zu hohe Anforderung an die Spezies Mensch und daraus folgend das Kollabieren der Psyche und damit der Gesundheit? Das ist nicht bewiesen, würden Medienmacher unisono mit den Anhängern der evidenzbasierten Medizin entgegnen. Ja, wie denn auch? Wer sollte solche Studien bezahlen? Die Pharmariesen sicher nicht. Man sägt nicht an dem Ast, auf dem man sitzt. Ein Kollaps der Psyche, der einhergeht mit einer Vielzahl an seelischen und körperlichen Erkrankungen – der Traum eines jeden Pillenproduzenten.

Immer und überall online zu sein ermöglicht zwar eine direkte Verbindung zur Außenwelt, schränkt aber unsere Freiheit stark ein. Indem das Smartphone, einem körperlichen Anhängsel gleich, Teil des Trägers wird, begeben wir uns freiwillig in die Rolle des stets erreichbaren, kontrollierbaren Bürgers. Bei ständiger Erreichbarkeit ist man stets auf dem mentalen Sprung, bereit zu kommunizieren, aber nie ganz bei sich. Handy- und Internetsucht gelten inzwischen als psychische Erkrankung. Mögliche Langzeitfolgen sind noch nicht abschätzbar.

Dass exzessive Handy-Nutzung zumindest unglücklich machen kann, haben Forscher der Kent State University in Ohio herausgefunden (ein paar Studien gibt es doch!). Handy-Süchtige verspüren demnach ein stärkeres Gefühl der Sorge als Menschen, die Nachrichten oder Anrufe hin und wieder ignorieren. Die Probanden fühlten sich verpflichtet, ständig mit ihren Freunden in Kontakt zu sein. Wer den ganzen Tag Nachrichten verschickt und auf Social-Media-Seiten unterwegs ist, wird an das Gerät gebunden und durch das Nicht-abschalten-Können gestresst. Dass ständige Erreichbarkeit viele Arbeitnehmer krank macht, geht aus einem Gesundheitsreport der Krankenkasse Nordrhein-Westfalen hervor. Wird ein Angestellter häufig außerhalb der Arbeitszeit von seiner Firma kontaktiert, steigt das Risiko einer Depression.

Neurowissenschaftler warnen gar vor einer „Digitalen Demenz“. Dies sei speziell bei Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen, da das Gehirn vor allem in dieser Zeit ausgebildet wird. Wer googelt, statt Informationen aus Büchern zu holen oder sich per Facebook mit Freunden austauscht, statt sich persönlich zu unterhalten, verlerne das Lernen und die soziale Kompetenz.

Beeinflussen kann man nur das persönliche Verhalten. Sensiblen Menschen empfiehlt sich ein Stopp der Informationsflut. Man muss nicht alles wissen und ständig auf der Höhe der Zeit sein. Die Freiheit zu sagen: „Das interessiert mich nicht“, darf man sich nehmen. Um Psyche und Gesundheit zu schonen, drücken Sie die Aus-Taste. Geht das? Man könnte etwas Wichtiges versäumen. Was, wenn einem genau jetzt die Einladung zu einer Party, ein beruflicher Auftrag ereilt oder einfach ein Freund anklopft? Durch Gedanken wie diese werden unsere Freiräume immer enger. Also ausprobieren. Wichtige Informationen landen auf dem Anrufbeantworter. Aber: Schließt man sich dadurch nicht aus der Gemeinschaft aus? Freunde könnten verloren gehen. Wenn dem tatsächlich so ist, gut so, denn echte Freundschaften halten das aus. Echte Freundschaften können mit einem ehrlichen Nein umgehen: „Heute will ich nicht ausgehen. Mir ist nicht danach. Das nächste Mal wieder, bis bald.“ Wie wäre es, eine konsequente Erreichbarkeits-Auszeit zu zelebrieren? Eine Zeit nur für sich. Man gewinnt Freiraum, Freizeit, Freiheit. Wa­rum sich nicht einfach hinsetzen und Tee trinken, an einen Fluss oder See gehen und Steine ins Wasser werfen, oder sich hinlegen, tief und langsam atmen, die Augen schließen und zu sich finden?