Selbstoptimierung klingt nach Fortschritt. Nach feinem Glanz und leisen Versprechen: Wenn Du nur ein bisschen strukturierter wärst. Wenn Du jeden Morgen meditieren, jeden Abend reflektieren, zwischendurch Schritte zählen und dann auch noch Deine Schattenseiten integrieren würdest – dann, ja dann, würdest Du endlich bei Dir selbst ankommen. Irgendwann jedenfalls.
Und so verwandeln wir unser Leben in ein stilles Projektlabor. Wir messen Schlafphasen und Cortisolkurven, trainieren „Mindset-Muskel“ und Nervensystem, bauen Routinen wie Monumente. Smoothies am Morgen, Journaling am Abend, irgendwo dazwischen Affirmationen, Atemtechniken, die richtige Art zu essen, zu denken, zu fühlen. Wer scheitert, versucht es nochmal – und dann nochmal. Irgendwo muss doch die Spreizung liegen zwischen „ich gebe mein Bestes“ und „ich bin immer noch nicht genug“.
Natürlich ist der Wunsch nach Wachstum zutiefst menschlich. Wir wollen reifen, heilen und verstehen, uns entfalten wie Bäume, die jedes Jahr neue Jahresringe bilden. Aber da existiert eine Schwelle, jener schmale Grat zwischen Selbstfürsorge und Druck, zwischen Hingabe und Hast. Dort beginnt die Optimierung, die mehr nimmt als gibt. Dort entsteht eine stille Härte sich selbst gegenüber.
Wir leben in einer Zeit, in der Selbstentwicklung fast moralisch aufgeladen ist. Wer „an sich arbeitet“, gilt als reflektiert. Wer innehält, wirkt rasch träge. Die Gesellschaft applaudiert jenen, die sich disziplinieren – und übersieht die Müdigkeit und Leere in ihren Augen. Denn Optimierung hat längst nicht mehr nur den Auftrag, unser Leben zu bereichern. Sie dient als Schutzschild gegen die eigene Angst, stehenzubleiben, nicht Schritt und nicht mithalten zu können und soll verhindern, dass wir das Chaos im eigenen Inneren spüren.
So wird Meditation zur To-do-Liste, Achtsamkeit zum Wettbewerb, Regeneration zur strategischen Maßnahme. Wir reden von Balance und leben in Tabellen. Wir nennen es Hingabe und meinen Kontrolle. Wir sagen „Selbstliebe“ und reden von „Selbstverbesserung, aber bitte zackig“. Und während wir uns optimieren, verlieren wir manchmal die Fähigkeit, einfach da zu sein – ohne Ziel, ohne Bewertung, ohne moralischen Unterton.
Die Realität zeigt feine Risse: Junge Menschen fühlen sich ausgelaugt und erschöpft, bevor ihr Leben wirklich begonnen hat. Tatsächlich sind es meist jene mit perfekten Routinen und bröckelnder innerer Welt. Sie erleben Tage, die in Protokollen erfasst werden, aber kaum gespürt. Wir sehen das strahlende „Vorher-Nachher“ – und übersehen das Dazwischen, in dem das eigentliche Leben pulsiert.
Philosophisch betrachtet liegt der Fehler im Grundgedanken: Wir verwechseln Werden mit Würde. Wir tun so, als müssten wir uns erst verdienen, um uns selbst zu mögen. Doch ein Mensch ist kein unfertiges Projekt, kein Rohmaterial, das in eine bessere Version transformiert werden muss. Wir sind Wesen, die naturgemäß widersprüchlich, schön, erschöpft, wachsend und genügend zugleich sein können.
Wahre Entwicklung ist das Gegenteil von permanenter Selbstüberwachung. Sie beginnt dort, wo wir sanft und milde mit uns werden, wo wir erkennen, dass Müdigkeit ein Signal sein darf, keine Schwäche, dass ein nicht fokussierter und durchgeplanter Tag nicht bedeutet, dass wir gescheitert sind. Nicht jede Emotion muss optimiert, nicht jeder Gedanke sortiert werden. Das wird ohnehin nicht funktionieren, und angesichts dieser Erkenntnis entsteht letztlich neuer Druck. Und gerade den braucht Wachstum nicht zwingend. Manchmal braucht es Leere, manchmal Langsamkeit und von Zeit und Zeit das stille Eingeständnis: Ich bin schon auf dem Weg. Auch wenn nichts Besonderes passiert. Auch wenn ich gerade nicht wachse, sondern einfach nur bin.
Eins der radikalsten Statements unserer Zeit lautet nicht „Ich verbessere mich stetig“, sondern: Ich darf Mensch sein – ganz authentisch, und das ist genug. Denn ich bin genug.
Und wer weiß – vielleicht liegt genau dort das, wonach wir all die Jahre gesucht haben. Nicht im nächsten Tool, nicht in der nächsten Routine, nicht in der perfekten Version unserer selbst, sondern im einfachen, unperfekten, atmenden Jetzt.