Mikrobiom – plötzlich in aller Munde

Mikrobiom – plötzlich in aller Munde

Liebe Leserin, lieber Leser,
auch wenn es schon vor vielen Jahrzehnten einige wenige Ärzte gab, die beispielsweise Infektanfälligkeit bei Kindern mit der Gabe „gesunder“ Darmbakterien behandelten, dümpelte das Thema Darmflora (heute als Mikrobiom bezeichnet) jahrzehntelang vor sich hin. Es wurde von der klinischen Medizin so gut wie nicht zur Kenntnis genommen.
Ich mag mich täuschen, aber nach meinem Gefühl brachte die – ich sage mal „Joghurtindustrie“ – vor rund 20 Jahren mit der Entwicklung von Lebensmitteln mit „Gesundheitsnutzen“ (functional food) die Thematik voran. Da sich vor allem die ganz großen Lebensmittelkonzerne diesen Themen widmeten, gab es immer mehr wissenschaftliche Studien, die die positiven Effekte bestimmter Darmbakterien belegen sollten. Das führte allmählich dazu, dass sich auch die medizinischen Universitäten den Fragestellungen rund um das Mikrobiom widmeten. So betont in einem aktuellen Interview Dr. Konrad Aden, ein Experte der Universität Kiel, dass die heute gewünschte Vielfalt des Mikrobioms eine Frage der Ernährung sei und diese auch den Alterungsprozess beeinflusse. Die Empfehlungen des Experten stellen allerdings für Leser dieser Zeitschrift keine wesentliche Neuerung dar: Es komme vor allem auf eine Ernährung mit ausreichend Ballaststoffen an, die die Bildung solcher Bakterienarten anregen, die Entzündungen reduzieren, zu mehr Darmschleimproduktion führen, das Immunsystem entlasten und den Stoffwechsel unterstützen.

Diese Effekte wirken nicht nur in der unmittelbaren Darmumgebung, sondern auch im übrigen Organismus. Allergien und Autoimmunerkrankungen lässt sich so besser vorbeugen. „Ballaststoffreich“ bedeutet automatisch eine überwiegend pflanzlich betonte Kost mit gleichzeitig weitgehender Einschränkung von rotem Fleisch, Fertignahrungsmitteln, Zucker und ungünstigen Fetten.

Auch regelmäßige Bewegung als Ausdauer- und Krafttraining soll das Mikrobiom stärken. Im Zusammenhang mit Antibiotika sieht der Kieler Experte vor allem die unwissentliche und schleichende Aufnahme von Antibiotika durch Verzehr von Lebensmitteln aus Massentierhaltung als besonderes Problem. Dadurch erhöhe sich das Risiko für eine Infektion mit dem Keim Clos­tridium difficile, dessen Name schon bedrohlich klingt und der tatsächlich bei Stuhluntersuchungen vermehrt gefunden wird.

Aktuell interessiert auch die Fragestellung, welche Auswirkungen die Zusammensetzung des Mikrobioms auf die Psyche hat. Heute wird oft von einer Darm-Hirn-Immunachse gesprochen.

Herzlich
Dr. med. Rainer Matejka