Idylle auf dem Lande?

Idylle auf dem Lande?

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt immer weniger Landärzte. Eine Tatsache, die man seit einer Generation diskutiert. Warum? Als ursächlich vermutet man räumliche Entfernungen, ein mäßiges schulisches Angebot für Kinder und maue Möglichkeiten zur (kulturellen) Freizeitgestaltung. Was die Situation bessern könnte? Dazu hören wir seit geraumer Zeit recht naive „Expertenvorschläge“: Sie reichen von der Unterstützung auf der Suche nach geeigneten Praxisräumen über zinsgünstige Kredite bis hin zu Umsatzgarantien. Immer wieder ist auch die Rede von „höheren Honoraren“ für Landärzte und bevorzugter Vergabe von Studienplätzen an junge Menschen, die sich verpflichten, später als Landarzt tätig zu sein. Abgesehen davon, dass man das kaum verbindlich einklagen könnte, haben all diese Maßnahmen nicht weiter geführt. Im Gegenteil! Was können weitere Gründe für das abnehmende Interesse an einer hausärztlichen Niederlassung sein? Neben hoher Arbeitsbelastung, die in der Regel auch die regelmäßige Teilnahme am Nacht- und Notdienst umfasst, vielleicht folgendes: Hat der Arzt mehr Hausbesuche absolviert als seine Fachkollegen, wird er womöglich vor eine Kommission der kassenärztlichen Vereinigung zitiert. Dort muss er begründen, warum er in einem Teilbereich mehr Kosten verursacht hat als andere Mediziner. Gelingt es ihm nicht, dies als „Praxisbesonderheit“ zu begründen – etwa wegen besonders zahlreicher hochbetagter Patienten – droht ein Regress. Dies kann Rückzahlungen bereits ausgezahlter Honorare in erheblicher, meist fünfstelliger Höhe bedeuten. Die Vorladung vor Gremien der kassenärztlichen Vereinigung wird von vielen Kollegen als entwürdigendes Tribunal geschildert. Hinzu kommt überbordende Bürokratie. Ein mir bekannter Landarzt schildert es so: „Während andere ins Wochenende gehen, sitze ich sonntags an Gutachten und Bescheinigungen für Behörden. Diese werden in exzessivem Umfang gefordert und mit Pfennigbeträgen oder gar nicht vergütet.“ Der Medizinsoziologe und passionierte Landarzt Prof. Paul Lüth formulierte bereits 1985: „Der Landarzt ist auch die erste Instanz des Sozialstaats, zu dem man geht, um Ansprüche an selbigen durchzusetzen und dessen Inanspruchnahme zudem noch faktisch kostenlos ist“. Was könnte Mediziner wirklich motivieren, sich aufs Land zu begeben? Meine Vorschläge: Kleine Ambulatorien statt „Einzelkämpferpraxen“. Diese werden direkt von der kassenärztlichen Vereinigung betrieben. Die Ärzte sind angestellt, haben geregelte Arbeitszeiten und werden auf Wunsch von Nacht- und Wochenenddiensten freigestellt. Auch anderen medizinischen Berufen wird in den Ambulatorien eine Betätigung geboten, z. B. der Krankenschwester und dem Physiotherapeuten. Die wieder eingeführte Gemeindeschwester kann im Rahmen von Hausbesuchen abklären, welcher Patient einen Arztbesuch benötigt. Für Gutachten und Schriftverkehr werden verstärkt Amtsärzte beauftragt. Ein Modellversuch aus Mittelhessen scheint mir ebenfalls recht sinnvoll. Dort wurde ein Linienbus zu einem sogenannten Medi-Bus umgebaut. Er fährt über die Dörfer, sodass vor allem ältere Patienten einen direkten Zugang zum Arzt haben. Plötzlich wackelt auch das Tabu der telefonischen Fernberatung: Ärzte sollen zukünftig in einem gewissen Umfang auch ihnen unbekannte Patienten beraten dürfen – natürlich nach festen Kriterien.

Ob all das den guten alten Landarzt allerdings wirklich reanimieren kann, bleibt fraglich. Zu stark ist der Drang zum Spezialistentum, nicht zuletzt, weil der Patient das wünscht. Vielleicht sind romantische Bilder und alte Filme irgendwann des Landarztes letztes Relikt.

Dr. med. Rainer Matejka