Sozialprestige und Gesundheit

Sozialprestige und Gesundheit

Liebe Leserin, lieber Leser,

einmal mehr zeigte kürzlich eine große Studie: Niedriger sozialer Status begünstigt Krankheit und verkürzt die Lebenserwartung. Höheres Einkommen korreliert mit höherer Lebenserwartung.

Nun sind solche nicht neuen Erkenntnisse sicher Wasser auf die Mühlen derjenigen, die meinen, man müsse nur genügend Geld umverteilen, dann wird alles gut. Auch im Gesundheits- und Bildungswesen dominiert ja seit langem die Forderung nach „mehr Geld“. Aber kreative Lösungen? Zumeist Mangelware!

Die aktuelle Studie bestätigt: Niedriger Bildungsstandard geht mit erhöhtem Alkohol- und Nikotinkonsum, einer schlechteren Ernährung mit vorzugsweise Fertignahrungsmitteln und Bewegungsmangel einher, also insgesamt mit einem ungesunden Lebensstil. Jemand hat einmal zutreffend gesagt: Niedriger Bildungsstand hindert oft auch daran, mit Beschwerden und Krankheiten adäquat umzugehen. In früherer Zeit, als – im Gegensatz zu heute – ein Großteil der Menschen in sehr einfachen Verhältnissen lebte, musste man sich mit Hausmitteln behelfen: dem Einlauf, dem Brustwickel, dem Dampfbad, im weitesten Sinne der „Abhärtung“, zum Beispiel mit kaltem Wasser bei meist schwerer körperlicher Arbeit.

Die Generation derer, die sich mit Hausmitteln auskennen, gibt es heute nicht mehr – man findet höchstens noch vereinzelt Menschen mit entsprechenden Kenntnissen. Heute dominiert eher der passive „Konsum von Gesundheitsleistungen“. Anstelle aktiver Vorbeugung steht oft das unkritische Tablettenschlucken hoch im Kurs, statt auch mal einen Tag zuzuwarten – und zwar nicht nur bei Menschen mit niedrigem Bildungsgrad.

Die erwähnte Studie zeigt, auch beim Herausrechnen des Faktors Lebensstil und Gesundheitsbewusstsein aus der Statistik, liegt die Lebenserwartung von Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status immer noch signifikant unter derjenigen von Menschen mit höherem Status. Es muss also noch ein Faktor hinzukommen. Die Forscher stießen bei der weiteren Analyse auf einen – wie ich finde – bemerkenswerten und in dieser Form bislang weniger beachteten Tatbestand: Auch die ständige Erfahrung mangelnder Wertschätzung macht auf die Dauer krank und verkürzt die Lebenserwartung. Das betrifft besonders Berufe mit geringem Sozialprestige, aber doch beträchtlicher und oft stressbeladener Arbeitsleistung. Spontan fallen mir Fernfahrer und Paketausfahrer ein. Erstere stehen ständig unter Termindruck, müssen vorgeschriebene Pausen auf vollkommen überfüllten Parkplätzen einlegen, da die Infrastruktur für die im Grunde wünschenswerte Vorgabe der Ruhepausen auch Jahre nachdem das Gesetz eingeführt wurde nicht ausreicht. Kommen sie schließlich am Ziel an – werden sie dort womöglich angepflaumt, weil sie den Laster nicht schnell genug an die „Rampe“ zum Ausladen bringen. Paketzusteller parken häufig gezwungenermaßen in der „zweiten Reihe“, müssen sich dafür beschimpfen lassen, treffen Empfänger der Sendungen oft nicht an.

Das zeigt meines Erachtens: Nur mehr Geld löst sicher nicht alle Probleme. Mehr persönliche Wertschätzung und bessere Gesundheitsbildung für alle Schichten der Bevölkerung wären wahrscheinlich noch effektiver.

Dr. med. Rainer Matejka