Aus der ärztlichen Praxis

Allergie? Der erste Blick kann täuschen …

Dr. med. Volker Brauner

Die Diagnostik in der allergologischen Praxis ist manchmal wahre Detektivarbeit. Dies gilt besonders, wenn eine Nahrungsmittelallergie vermutet wird. Leider sind die Ergebnisse der Blutuntersuchungen und Hauttests hierbei längst nicht so zuverlässig wie bei anderen Allergieformen. Für den Arzt ist also eine gewisse Zurückhaltung beim Stellen dieser Diagnose geboten. Vor diesem Hintergrund versetzt es einen gelegentlich in großes Erstaunen, mit welcher Sicherheit manch ein Patient behauptet, er habe eine Lebensmittelallergie.

So selbstsicher trat auch Florian Schnitzer (Name geändert) auf, ein Mittdreißiger, der kürzlich im Brustton der Überzeugung behauptete: „Ich bin allergisch gegen jede Art von Nahrung.“ Wie er denn darauf komme, hakte ich verblüfft nach. „Ich habe schon früher unter Lebensmittelallergien gelitten. Damals wurde ein IgG4-Allergietest gemacht, und der war bei etlichen Lebensmitteln positiv. Jetzt ist alles noch schlimmer geworden. Nach jedem Essen schwellen Zahnfleisch und Gaumen an. Das bessert sich nur, wenn ich gar nichts esse. Erst dachte ich, das sei nur bei bestimmten Speisen so, aber dann merkte ich, daß ich essen konnte, was ich wollte: Es traten immer dieselben Symptome auf. Also habe ich tagelang kaum gegessen, nur getrunken.“

Weißer Zungenbelag liefert Hinweis auf Hefepilzbefall

Ein Blick in seinen Mund zeigte eine dick weißlich belegte Zunge. Gaumen und Zahnfleisch sahen aber nicht entzündlich-geschwollen aus. Da er kaum noch gegessen hatte, wunderte sich Herr Schnitzer nicht darüber, daß die Schleimhaut nun unauffällig war. Ich versuchte, ihn zu überzeugen, daß es eine Lebensmittelallergie „gegen alles“ nicht gibt. Doch wie waren die Beschwerden dann zu deuten?

Die Orientierung an den Symptomen lieferte bereits ein eindeutiges Bild. Der weiße Zungenbelag sprach für eine Überwucherung des Magen-Darm-Traktes mit Hefepilzen. Ich gab deshalb den Anti-Pilz-Wirkstoff Nystatin. Wegen der Entzündungsneigung wurde eine Vitamin-C-Hochdosis-Infusion verabreicht und lokal im Mund Myrrhen-Tinktur verordnet, 10 Tropfen auf ein halbes Glas lauwarmes Wasser. Um Herrn Schnitzer, der zu diesem Zeitpunkt kaum noch aß, nicht zu verunsichern, hielt ich mich mit Ernährungsempfehlungen im Sinne einer Anti-Pilz-Diät (weitgehender Verzicht auf einfache Kohlenhydrate) zurück und riet ihm, wieder normal zu essen.

Bakterien und Bitterstoffe stabilisieren die Darmflora

Unter dieser Therapie bekam er zunächst einige Tage Durchfall, dann besserten sich die Beschwerden. Im Anschluß wurde zum Aufbau einer intakten Darmflora eine Symbioselenkung mit Colibakterien und Laktobazillen eingeleitet. Eine gesunde Darmflora verhindert das Überwuchern des Körpers mit Hefepilzen – auch im Mund. Zusätzlich erhielt er eine Bitterstoffmischung, ergänzt durch homöopathische Komplexmittel. Von diesen Tropfen, die unter anderem Bitterholz und Mariendistel enthalten, nahm er vier Monate lang 2–3mal täglich 25 Tropfen mit etwas Wasser vor den Mahlzeiten. Sie stärken die oberen Verdauungsorgane, damit sich in deren Folge auch der Darm erholen kann. Danach war er beschwerdefrei und konnte problemlos alles essen.

Hefen sind bis zu einem gewissen Grad „normale Bewohner“ eines jeden Magen-Darm-Traktes und machen keine Beschwerden, es sei denn, sie vermehren sich exzessiv. Vorbeugend wirken Senf, Rettich, Kapuzinerkresse (auch in Tropfenform als Tropaeolum majus Urtinktur 2mal täglich 5 Tropfen), Knoblauch und der Verzicht auf zuviel Süßes.

Die Moral von der Geschicht: Ursache der Beschwerden war das gestörte Darmmilieu. Vorsicht also mit der Diagnose Lebensmittelallergie. Labortests könnten irreführend sein!

Den Artikel zu dieser redaktionellen Einleitung finden Sie in der Naturarzt-Druckausgabe 12/2006