Dem Sinn auf der Spur
Bewusstsein

Dem Sinn auf der Spur

Christine Lang

Im normalen Alltag und wenn das Leben in geregelten Bahnen verläuft, stellt man sich die Frage nach dem Sinn des Lebens in der Regel nicht. Erst wenn widrige Lebensumstände, Unglücke oder Enttäuschungen einen aus der Bahn werfen, kann es zu einer existenziellen Sinnkrise kommen, schlimmstenfalls zu einer Depression mit einem Gefühl völliger Sinnlosigkeit des eigenen Daseins.

„Wer weiß, wozu er lebt, kann die schwierigste Situation ertragen.“Viktor Frankl

Bei Viktor E. Frankl (1905–1997), dem Begründer der sinnorientierten Psychotherapie, Logotherapie genannt, spielt die Sinnhaftigkeit des Lebens eine große Rolle. Es lohnt sich, sich mit diesem Mann und seinen Ideen eingehender zu beschäftigen.

Der österreichische Professor für Neurologie und Psychiatrie überlebte vier Konzentrationslager, darunter Auschwitz. Als Juden wurden er, seine Frau und seine Eltern deportiert. Während dieser Zeit verarbeitete er seine Eindrücke und Erfahrungen beim Schreiben des Buches „… trotzdem Ja zum Leben sagen – Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“. Die Arbeit am Buch stärk-te Frankls Überlebenswillen. Die Erfahrung, gebraucht zu werden und eine Aufgabe zu haben, gab ihm die Kraft, die Schrecken des Konzentrationslagers zu überleben.

Diese Erlebnisse waren auch der Impuls für die Entwicklung der Logotherapie, die besagt, dass der Mensch einen Sinn im Leben finden muss, um trotz aller Krisen und Probleme gesund zu bleiben. „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“, schrieb auch Friedrich Nitzsche. Frankl geht davon aus, dass alles seinen Sinn hat. Mit dieser Gewissheit ist es leichter, Unabänderliches zu ertragen und das Gute zu würdigen und zu nutzen.

Mit seinen Gedanken und Ideen zeigt uns Frankl einen Weg aus der Sinnlosigkeit hin zu einem erfüllten Leben im Hier und Jetzt: „Das Menschsein weist immer über sich hin-aus, auf etwas oder jemanden hin, auf eine Sache, in deren Dienst man sich stellt, oder auf einen Mitmenschen, dem man sich liebend hingibt. Nur im Dienst einer Sache und in der Liebe zu einer Person wird der Mensch ganz er selbst, ist er ganz Mensch.“

Dass der Mensch ein Verlangen hat, seinem Leben einen Sinn zu geben, ist etwas ganz Grundlegendes. Der Mensch hat das Bedürfnis, glücklich zu sein. Er möchte sein Leben nach seinen Vorstellungen und Wünschen gestalten dürfen, seine Fähigkeiten und Begabungen entdecken und ausleben. Es geht darum, das Leben und was wir daraus machen, mit etwas Wertvollem zu füllen. Man könnte auch von innerem Reichtum oder innerem Frieden sprechen.

Das Leben mit Sinn füllen, kommt jedoch nicht von selbst. Dieser Weg ist mit Arbeit verbunden: nachdenken, bewusstmachen, in Bewegung bleiben und ganz Mensch sein.

Vielleicht haben Sie sich selbst schon die Frage gestellt: Was ist der Sinn meines Lebens? Jeder Einzelne kann sie nur für sich beantworten. Denn die Antwort ist so unterschiedlich wie wir Menschen. Diese Frage zwingt uns, anzuhalten und über uns und unser bisheriges Leben nachzudenken.
Nehmen Sie sich einen Stift, ein Blatt Papier und etwas Zeit und fragen Sie sich bewusst: „Was ist der Sinn meines Lebens?“ Merken Sie, wie Sie nun bei sich sind? Schreiben Sie Ihre Gefühle und Gedanken auf. Lassen Sie alles zu. Schreiben Sie auf, welche Bilder in Ihrem Inneren entstehen. Immer mit dem Blick auf diese Frage. Sie werden erstaunt sein, wie viel in Ihnen steckt und werden sich besser kennen lernen.

Dabei spielt es keine Rolle mehr, was man hat oder was man ist, sondern es zählt das, was einen als Menschen ausmacht. Dass man sich beispielsweise mit der Natur verbunden fühlt und dass man das Leben in seiner Vielfalt wertschätzen kann. Misserfolge und Kränkungen lassen sich dann besser annehmen, sie gehören zum Leben und werfen einen nicht so leicht aus der Bahn. Selbst in diesen Negativ-Erfahrungen lässt sich ein Sinn erkennen, und es besteht die Chance zur Reifung.