Bauch oder Kopf? Am besten beides!

Bauch oder Kopf?

Liebe Leserin, lieber Leser,

In den letzten Jahren hört man in den unterschiedlichsten Bereichen, der Mensch dürfe sich nicht nur auf seinen Verstand verlassen, sondern er müsse viel mehr auf seinen Bauch hören. Dadurch könne er Situationen besser erfühlen und sinnvollere Entscheidungen treffen als mit dem Verstand allein.

Tatsächlich: verfolgt man politische Diskussionen im Fernsehen mit Publikum, wird oft der rational-sachlich und durchaus vernünftig Argumentierende ausgebuht. Diejenigen dagegen, die auffordern, man müsse „die Menschen mitnehmen“ und das „Herz der Menschen“ erreichen, ernten donnernden Applaus, auch wenn sie den größten Unsinn reden und oft selbst ganz wesentlich an bestimmten Problemen mitschuldig sind.

Die Wirkung eines Vortrages auf die Zuhörer soll nur zu 7 Prozent vom Inhalt abhängen, aber zu über 30 Prozent von der emotionalen Ausstrahlung des Referenten. In der Großindustrie werden von Managern zunehmend emotionale Qualitäten gefordert. Man spricht sogar vom „emotional quotient“ (EQ anstelle von IQ). Sogar die Autoindustrie kennt zunehmend Emotionen, vermutlich deshalb, weil sich die Modelle der Hersteller sowohl von der Qualität als auch technisch gar nicht mehr so gewaltig unterscheiden. Also hängt man ein paar nutzlose Spoiler an, arbeitet ein paar pfiffige Knicke in das Blech ein, dazu ein röhrender Auspuff und spricht plötzlich von „Emotion pur“…

Zweifellos spielt auch im ärztlich-medizinischen Bereich das „Bauchhirn“ – nein, der Begriff gefällt mir in diesem Zusammenhang überhaupt nicht, sprechen wir lieber von der Intuition – eine wichtige Rolle. Die Gesundheit eines Patienten adäquat zu erfassen, dazu ist sicher mehr notwendig als die Kenntnis von Laborwerten und Röntgenbildern. Ärztliches Urteil und Diagnose beruhen auch auf dem Bild des Menschen, auf dem Eindruck, den er in seiner unmittelbaren Wirkung auf den Therapeuten entfaltet. Ohne emotionales Einfühlungsvermögen wäre eine Medizin nicht möglich.

Es gibt zu alledem aber auch kritische Stimmen: Der Chef einer angesehenen Schweizer Management-Schule soll gesagt haben, wie zuverlässig das Bauchhirn arbeite, könne man leicht an der explodierenden Zahl der Ehescheidungen ablesen …

Und ist nicht die Politik der letzten Jahrzehnte auch vielfach aus dem Bauch gemacht worden – und ohne Verstand? Mit der Folge, daß wir heute etliche Probleme haben, die wir ansonsten nicht hätten?

Ich plädiere für eine sinnvolle Synthese und behaupte: Nur aus dem Bauch heraus zu entscheiden, führt oft zu katastrophalen Fehlern. Bei Verantwortungsträgern halte ich ein solches Vorgehen geradezu für verwerflich. Nur mit dem Verstand zu entscheiden, erweist sich oft als vollkommen wirkungslos oder im Resultat enttäuschend.

Das einzig Sinnvolle scheint mir: eine verstandesgemäß getroffene Entscheidung auch durch die Emotion zu überprüfen und umgekehrt: eine spontane Emotion durch den Verstand abzusichern. So erzielt man die besten Resultate. Frei nach Friedrich Rückert: „Ein Mann mit Bauch(-hirn) und Verstand – die seltenste Erscheinung.“

Mit besten Grüßen