Pseudomedizinischer Unsinn?

Pseudomedizinischer Unsinn?

Liebe Leserin, lieber Leser,
Medizinethiker gab es während meiner Studienzeit noch nicht. Erst in den letzten 20 Jahren hört man viel von ihnen. Nicht immer erscheinen jedoch Statements aus dieser Richtung von Sachkompetenz geprägt. So hat ein sogenannter Münsteraner Kreis, der es seit Jahren auf die Homöopathie als „esoterische Glaubenslehre“ abgesehen hat, jetzt eine Art Generalangriff auf alles gestartet, was nicht strenge Schulmedizin ist. In einem aktuellen Memorandum wird vor „integrativer Medizin“ gewarnt. In dieser „vermeintlichen Zusammenführung von Alternativmedizin und konventioneller Heilkunde“ wird ein „schleichendes Untergraben“ der evidenzbasierten Medizin befürchtet mit „Verschlechterung der Patientenversorgung“. Deshalb müsse man der offenkundigen Gefahr „des Einschleusens unbelegter oder widerlegter alternativer Verfahren“ konsequent entgegenwirken. Wenn es dann um die Nennung von Ross und Reiter geht, wird neben Akupunktur einmal mehr auf die Homöopathie eingedroschen und gefordert, diese habe in der ärztlichen Weiterbildung nichts zu suchen. Sie helfe nicht nur nicht, sondern beinhalte „ein hohes Schadenspotenzial durch Unterlassung notwendiger Maßnahmen“.

Mag ja sein, dass Letzteres in Einzelfällen mal zutrifft, wenn Therapeut und Patient zu sehr darauf abfahren und den entgleisten Blutdruck oder die gefährliche Herzrhythmusstörung unter keinen Umständen nach Leitlinie behandeln lassen wollen. Viel öfter liegt aber eine ganz andere Situation vor: Die evidenzbasierte Medizin konnte nicht helfen. Völlig verständlich, wenn Menschen dann nach Alternativen suchen. Das kann die Homöopathie sein, aber – etwa bei Gelenk­leiden und/oder Schmerzen – beispielsweise auch Neuraltherapie nach Huneke, Akupunktmassage nach Penzel oder Osteopathie, dazu die Naturheilverfahren gesunde Ernährung und Bewegung. Für viele Fragestellungen des medizinischen Alltags gibt es keine ausreichenden Evidenzen. Und dann sind eben doch die so kritisierte Intuition – man möchte auch sagen Kreativität – und ärztlich-praktische Realerfahrung gefragt.

Bedauerlicherweise äußert sich der bekannte ehemalige Lehrstuhlinhaber für „Complementary Medicine“ an der Universität Exeter, Prof. Edzard Ernst, in ähnlicher Richtung wie der Münsteraner Kreis. In den Nullerjahren haben wir ein Interview mit ihm in dieser Zeitschrift veröffentlicht, ich war zudem seinerzeit mehrfach Teilnehmer auf internationalen Kongressen in Exeter und London. Schade, dass er sich in letzter Zeit fast ausschließlich nur noch als Vertreter einer Art negativer Naturheilkunde positioniert, dabei gibt es inzwischen durchaus brauchbare Studien, übrigens auch zur Homöopathie.

Mit besten Grüßen

Dr. med. Rainer Matejka