Bei Müdigkeit nicht zu viel Diagnostik!

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit dem Beschwerdebild Erschöpfung und Müdigkeit suchen oder suchten rund ein Drittel der über 16-jährigen bereits einmal einen Arzt auf. Ein weiteres Drittel gibt dieses Symptom als Nebenbeschwerde an. Ein Arbeitskreis unter Federführung der Universität Marburg hat nun eine Art Leitlinienkonzept im Zusammenhang mit dem Symptom Müdigkeit erstellt, das ich persönlich recht hilfreich finde.

Wie ich aus eigener Erfahrung mit Patienten bestätigen kann, stecken lebensbedrohliche Erkrankungen selten hinter diesem Leitsymptom. Bei 20 % stehen laut Untersuchung der Uni Marburg depressive Verstimmung bzw. psychosomatische Beschwerden im Raum, bei 1–5 % die Blutarmut, bei 3–6 % Diabetes und chronische Lungenerkrankungen wie COPD, bei weiteren Patienten chronische Schmerzen, Medikamentenmissbrauch und Schlafstörungen. Zahlreiche Arztkontakte in der Vorgeschichte wegen des Symptoms Müdigkeit ohne erkennbares Ergebnis sprechen für eine psychosomatische Ursache.

Bei Müdigkeits- und Erschöpfungszuständen ohne erkennbare Begleiterkrankung sollte man zunächst einmal gezielte Fragen stellen und nur ausgewählte Untersuchungen durchführen. Medizinisch naheliegend und sinnvoll ist die Bestimmung folgender Blutwerte:
► Entzündungswerte: C-reaktives Protein (CRP) und Blutsenkung (BSG)
► Blutzucker
► TSH-Wert (Schilddrüsenfunktion) und die
► Leberwerte (siehe dazu Naturarzt 9/2014).

Bewährt hat sich die Einplanung fester Folgetermine, z. B. alle vier Wochen und nicht erst den Patienten wiederkommen lassen, wenn die Beschwerden unerträglich werden. Die genannten Fachleute warnen vor einer vorschnellen Zuordnung zu einer angeblichen chronischen Borreliose. Auch die routinemäßige Bestimmung von Borrelien-Titern wird äußerst kritisch gesehen, da zahlreiche Menschen unklar erhöhte Titer haben. Bei derartigen Laboruntersuchungen sind Spontanerhöhungen auch ohne Zeckenkontakt möglich, so dass die Diagnose einer chronischen Borreliose fragwürdig ist. Man sollte daher Menschen nicht vorschnell in diese Diagnose hineindrängen.

Sehr hilfreich finde ich den von den Autoren beschriebenen Teufelskreis der „Dekonditionierung“: Demnach führen Stress und seelische Belas-tungen oder auch eine Krankheit zu einer Verminderung der körperlichen Bewegung. Diese wiederum bedingt Muskelabbau und Schwäche. Der Kreislauf ist weniger belastbar. Dadurch wird sämtliche Aktivität beschwerlicher, die Stimmung sinkt, letztendlich auch die Motivation zur Bewegung.

So hilfreich diese Ausführungen sind, würden wir aus naturheilkundlicher Sicht doch noch das eine oder andere wissen wollen. Wie sieht es z. B. mit der Versorgung bestimmter Vitalstoffe aus: etwa mit Vitamin B12, Vitamin D, Q10? Wie gestaltet sich der Säure-Basen-Haushalt? Je nach Konstitution hat sich gezeigt, dass ausleitende Verfahren bei Müdigkeit und Erschöpfung helfen. Vor allem bei übergewichtigen Typen ist das der Fall. Schwächliche, asthenische Menschen reagieren dagegen gut auf Aufbauspritzen, etwa mit Mineralstoffen wie Kalzium, geeigneten Homöopathika und Vitaminen.

Unterm Strich ist aber erfreulich, dass sich mittlerweile auch die Hochschulmedizin mit dem Leitsymptom Müdigkeit näher beschäftigt. Bisher hatte man den Eindruck, nach Ausschluss organischer Ursachen dominiert pure Hilflosigkeit.

Viel Elan im Frühjahr wünscht

Ihr Dr. med. Rainer Matejka