Der gute Arzt – Weder Rehlein noch Eisenbart

Liebe Leserin, lieber Leser,

von Zeit zu Zeit fordern Krankenkassenfunktionäre und Politiker, man solle ärztliche Leistungen nach Qualität bezahlen. Die Frage ist, wie man im Einzelfall diese Qualität bestimmen will.

Geht es um technisierte Verfahren, z. B. das Auswechseln von Augenlinsen oder das Einsetzen künstlicher Hüftgelenke, ist eine Qualitätsüberprüfung sicher gut möglich. Man könnte beispielsweise anhand der Zahl der – ich hätte beinahe gesagt – „Rückrufaktionen“ wichtige Hinweise bekommen.

Vor einiger Zeit schrieb ein Arzt in einer Gazette: Für ihn gehöre zu einem guten Arzt, einen neuen Patienten zuallererst nach dem Impfausweis zu fragen. Pardon! Aber darauf wäre ich wirklich nicht gekommen.

Auf Ärztekongressen würde die Behand­lung nach „Leitlinien“ als Qualitäts­kriterium gewertet. „Leitliniengerecht“ behandelt derjenige Arzt, der die modernsten und teuersten Medikamente einsetzt. Ärztlich tätig werden bedeutet bei ganzheitlicher Sicht aber nicht, einfach Empfehlungen unkritisch umzusetzen, sondern die Situation des Einzelfalles zu berücksichtigen.

„Ein guter Arzt muss zuhören können.“ Dieser These würden wohl die meisten zustimmen, doch auch hier kann es Überraschungen geben: Untersuchungen zeigen, dass – je nach Bildungsstand – viele Patienten keine langen Gespräche wollen. Der Arzt soll vielmehr schnell die richtige Diagnose stellen (z. B. durch moderne Apparate) und dann „anständige“ Arznei verordnen. Ein Kollege schrieb neulich, wie sehr er sich im Nachhinein über einen Kursus aufgeregt habe, der die richtige „Interaktion und Kommunikation“ mit dem Patienten zum Inhalt hatte und von Fachausdrücken nur so strotzte. Als der besagte Kollege versucht habe, die gewonnenen Erkenntnisse in der Praxis umzusetzen, hätten zahlreiche Patienten die Sprechstundenhilfe gefragt, ob der Doktor krank sei … Gerade in der Hausarztpraxis trifft man Patienten aus verschiedenen sozialen Schichten mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen. Die Fähigkeit zur patienten­orientierten Sprache ist daher wichtig.

Wäre nicht der ein guter Arzt, der Patienten mit Arthrose oder verschiedenen Stoffwechselstörungen einfach sagt: „Ich weigere mich, nebenwirkungsreiche Medikamente aufzuschreiben. Zuerst müsste konsequent die Lebensführung geändert werden!“ Ich bin sicher, kein Medizinfunktionär würde auf die Idee kommen, diesen Arzt als „gut“ einzustufen – auch nicht die Patienten. Im Gegenteil, seine Praxis wäre in kürzester Zeit leer.
 
Da die Frage, wie man sieht, offenbar viele Facetten hat, kann uns vielleicht Eugen Roth weiterhelfen: Nicht sehr mag er den besonders sanften Arzt „…mit Äuglein, frömmer als ein Reh­lein, selbst Darmkrebs nennt er noch Wehwehlein.“ Der Grobe kommt aber nicht besser weg: Er „mustert streng uns, herzenskalt: Was, über sechzig sind Sie alt? Da wird es sich wohl nicht mehr geben – Nun ja, wer will denn ewig leben?“ Fazit: „Der gute Arzt ist nicht zu zärtlich, doch ist er auch nicht eisenbärtlich. Nicht zu besorgt und nicht zu flüchtig. Er ist mit einem Worte tüchtig“.

Mit besten Grüßen