„Die da oben“ und der „kleine Mann“

Liebe Leserin, lieber Leser,

in den letzten Wochen erhielten wir vereinzelt Aufforderungen, doch endlich zum Dioxin-Skandal Stellung zu nehmen. Tipps zur Reduzierung des persönlichen Risikos brachte der Naturarzt in Ausgabe 3/2011 (S. 48). Und hier nun, bitte sehr, die Stellungnahme: Schafft weltweit die Tiermast nebst Massentierhaltung ab und das Problem immer neuer Lebensmittelskandale wird sich weitgehend lösen.

Glaubt man Umfragen, wären rund 80 Prozent der Bevölkerung bereit, mehr zu bezahlen, um gesunde Nahrungsmittel zu erhalten. Die Realität ist meist eine andere. Nach einer kurzen Zeit der Empörung, schleichen sich die alten Verhaltensmuster wieder ein. Obwohl nirgendwo in Europa prozentual so wenig für Lebensmittel ausgegeben wird wie in Deutschland, greift man gern zu Billigware, aber Fleisch muss es sein. Im Zweifelsfall sind die Eintrittskarte für das Popkonzert oder ein Tattoo oft wichtiger als gesunde Kost.

Im Umweltbereich sehen wir ähnliches. Selbstverständlich sind fast alle für umweltfreundliche und sparsame Autos. In der Realität wird dann oft mit dem „Offroader“ durch die Lande kutschiert. Denn „meine paar Liter“ ­machen es ja nicht aus – so die weitverbreitete Auffassung. Schuld seien vielmehr die großen Bosse in der Industrie und Politik, kurzum „die da oben“, gegen die der Einzelne nichts machen könne. Diese verbreitete fatalistische Einschätzung findet sich quer durch alle Bevölkerungskreise und gipfelt mitunter in einer sehr eigenartigen Weltsicht. Demnach sei es fast egal, wo man lebe auf der Welt: Der kleine Mann sei immer der Dumme. Abgesehen davon, dass sich gerade im Nahen Osten und Nordafrika zeigt, dass selbst Diktatoren erzittern, wenn sich die Bevölkerung erhebt, hätten wir bei unseren vergleichsweise banalen Problemen eine ganze Menge Möglichkeiten, zum Beispiel als Verbraucher: einfach keine Produkte mehr aus Massentierhaltung kaufen bzw. generell weniger Tierprodukte verzehren – wir würden uns wundern, wie schnell sich die Agrarbranche darauf einstellen und verändern würde.

Oder: keinen E-10-Treibstoff tanken, bei dem man sich fragt, was sich diejenigen, die diese Schnapsidee ausgeheckt haben, dabei eigentlich dachten: einen Treibstoff verpflichtend vorzuschreiben, für dessen Unbedenklichkeit kein Autohersteller wirklich garantiert, der weniger leistet, zu Mehrverbrauch führt, vor allem aber zur vermehrten Landnutzung für den Anbau von Treibstoffen. Dieses Land steht nicht mehr für den Nahrungsmittelanbau zur Verfügung. Was wiederum zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und Hungersnöten in der Dritten Welt führt. Man könnte fast sagen: So geht Kolonialismus heute. Vorübergehend wurde die weitere Einführung von E10 gestoppt. Ich bin gespannt, was am Ende dabei herauskommt.

Da fällt mir noch ein ganz anderes Thema ein: Deutsche Kranken­hausgesellschaften haben kürzlich in Prag eine Werbeveranstaltung durchgeführt, um tschechische Ärzte für deutsche Kliniken abzuwerben. Dem Vernehmen nach möchte rund ein Drittel aller tschechischen Ärzte sofort in Deutschland arbeiten. Die freiwerdenden Arztstellen in der Tschechei sollen dann mit Ärzten aus der Slowakei aufgefüllt werden – und an deren freiwerdenden Stellen sollen Ärzte aus der Ukraine interessiert sein. Und was machen dann die armen Menschen in Odessa, Charkow oder Donezk?

Mit besten Grüßen