Industriedenkmäler und lange Leitungen

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Begriff „Energiewende“ stammt aus den 1970er Jahren. Der erste Versuch, ihn umzusetzen, wurde im Jahr 2000 unternommen, als die damalige Bundesregierung den Atomausstieg (für 2022) und gleichzeitig eine beispiellose Förderung erneuerbarer Energien beschloss. Heute versteht man unter dem Begriff allerdings meist das, was unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 von der Bundeskanzlerin eingeläutet wurde. Drei Jahre danach hören wir dazu den immer gleichen Satz: Mittels neuer Überlandleitungen müsse der Windstrom „vom Norden in die Industriezentren des Südens“ geleitet werden. Braucht es diese Leitungen wirklich in einer solchen Größenordnung?

Warum beziehen nicht vor allem Hamburg und Bremen den Windstrom? Im Großraum Hamburg mit energieintensiven Unternehmen gab es bis vor Kurzem drei Atomkraftwerke, jetzt nur noch eines, das 2021 abgeschaltet wird. Es wäre doch naheliegend, den Windstrom zunächst dorthin zu leiten. Oder bezieht Hamburg zukünftig seinen Strom aus oberschlesischen Braunkohlekraftwerken? Außerdem: eine der großen geplanten Leitungen namens „Südlink“ endet bei Schweinfurt. Dort gibt es die Kugellagerfabriken, ansonsten weites Land. Was verstehen Experten unter den „Industriezentren des Südens“?

Ich werde den Verdacht nicht los, dass die mehrere 100 Kilometer langen Leitungen in erster Linie zum Nutzen der Netzbetreiber gebaut werden sollen. Für den Bau sind zehn Jahre vorgesehen. Wie man die deutsche Situation mit Raumordnungs-, Planfeststellungsverfahren, diversen Bürgereinsprüchen und gerichtlichen Entscheiden kennt, dürften daraus 30 werden. Man wolle die Bürger mitnehmen, heißt es. Bloß, die Bürgermeister der Anrainergemeinden haben von den Projekten oft nur aus der Presse erfahren. „Mitnehmen“ sieht anders aus.

Die Offshore-Windanlagen (auf dem Meer) produzieren meines Wissens viel weniger Strom als ursprünglich veranschlagt und sind teilweise noch gar nicht ans Netz angeschlossen. „An Land“ dagegen sollen plötzlich Standorte für Windkraft geeignet sein, die bislang als ungeeignet galten, sogar in Biosphärenreservaten. Auch hier habe ich das Gefühl, dass die kommerziellen Interessen möglicher Investoren und Landverkäufer, oft auch der Gemeinden selbst, stärker im Vordergrund stehen als ökologische Aspekte. An der Autobahn A7 in Höhe Bad Hersfeld kreuzen sich Autobahn und Schnellbahnstrecke. Ein Ort, an dem ich oft vorbeikomme. Dort stehen mehrere Großanlagen für Windkraft. Ich schaue seit Jahren immer hin, die Rotoren haben sich bislang entweder nicht oder nur im Schneckentempo gedreht. Aus meiner Sicht sind das Industriedenkmäler und keinesfalls Beispiele für innovative Energiegewinnung. Ähnlich fragwürdige Beispiele für eine „Energiewende“ liefern die zahlreichen Biogasanlagen, die einer zunehmenden „Vermaisung“ der Landwirtschaft Vorschub leisten.

Die gut gemeinte Energiewende scheint also nicht viel mehr als ein Sammelsurium aus alternativen Energiequellen, angereichert durch kräftigen Ausbau der Kohlekraft, dazu das übliche Kompetenzwirrwarr und die in Deutschland bekannte Ideologisierung des Themas. Vielleicht besser als nichts, aber weder revolutionär noch vorbildlich für die Welt. Und wenn Otto Normalverbraucher das Ganze nicht kapiert, sollte niemand sagen, es läge an seiner langen Leitung! Nachdenklich grüßt Sie

Ihr Rainer Matejka