Peter Sawickis Abgang – An welchem Fortschritt müssen wir teilhaben?

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit 2004 gibt es in Köln ein „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG). Zu seinen prominentesten Aufgaben gehört es, neue und meist kostenintensive Arzneimittel einer kritischen Kosten-Nutzen-Bewertung zu unterziehen. Mehrere von der Pharmaindustrie mit besonderer Werbe-Vehemenz auf den Markt gebrachte Arzneimittel haben diese Prüfung nicht bestanden. Nun soll Peter Sawicki, der als „Pharma-Schreck“ bekannte Leiter des ­Instituts, seinen Hut nehmen, angeblich wegen einer „Dienstwagenaffäre“. Kri­tiker der Abberufung fürchten, dass der erzwungene Abgang vor allem mit der mutigen und unbeugsam kritischen Haltung Sawickis zu tun hat und fortan ein Experte installiert werden soll, der pharmafreundlicher ist. Doch kann sich ein Nachfolger eine pharmafreundliche Haltung leisten, ohne gleich in den Verdacht der Abhängigkeit zu geraten? Und verfolgt nicht auch die neue Bundesregierung das Ziel, die Pharmakosten in den Griff zu bekommen?

Bisher jedenfalls hat das Institut oft bemerkenswerte Arbeit geleistet, beispielsweise im Falle der sogenannten Insulin­analoga (zur Behandlung von Diabetes). Die Pharmaindustrie hatte diese Mittel mit Riesenaufwand und perfekter Inszenierung als großen „Fortschritt“ in den Markt gedrückt. Das IQWiG entschied jedoch, die Insulinanaloga seien nicht besser als herkömmliches Insulin. Folge: Die Krankenkassen erstatten die Innovation nicht. In diesem wie in anderen Fällen, wenn das IQWiG eine Negativbewertung abgab, fielen Ärzte- und Pharmavertreter über das Institut her nach dem Motto: Es mache sich moralisch schuldig, weil betroffenen Patienten wichtige medizinische Neuerungen vorenthalten würden. Erst neulich hat der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Jörg-Dietrich Hoppe, diese Argumentation wieder einmal in pauschaler Weise formuliert: Nicht ­alle Patienten nähmen heutzutage am medizinischen Fortschritt teil, weil ihnen teure Medikamente vorenthalten würden. Doch müssen wirksame Medikamente weder „neu“ noch teuer sein! Die Erfahrung in der Praxis zeigt eher das ­Gegenteil: Bluthochdruckmittel, die längere Zeit auf dem Markt sind, zeigen sich oft effektiver und besser verträglich als teure neue. Ähnliches gilt bei Psychopharmaka oder Schmerzmitteln. Statt Fortschritt erleben wir allzu oft nur ­“Pseudo­innovationen“.

Wie sieht es mit dem „Fortschritt“ im ­Bereich der Naturheilkunde aus? Sie ist mit ihren fünf klassischen Säulen Bewegung, Pflanzenheilkunde, Wassertherapie, Ernährung und Ordnungstherapie eher zeitlos. Vieles, was auf alternativen Gesundheitsmessen als Neuigkeit vorgestellt wird, verschwindet oft genauso schnell, wie es gekommen ist. Gleichwohl darf sich auch die Naturheilkunde nicht zu statisch verhalten. Im Bereich Ernährung beispielsweise wachsen Zweifel, ob Obst und Getreide in dem immer wieder propagierten Umfang wirklich so gesund sind. Patienten mit chronischen Verdauungsstörungen können ein Lied davon singen, dass vermeintlich gesunde Kost oft nicht gut vertragen wird. Echter Fortschritt heißt daher: Erkenntnisse müssen stets die individuellen Erfahrungen des Patienten berücksichtigen.

Mit besten Grüßen