Was heißt hier „gerecht“?

Liebe Leserin, lieber Leser,

folgende Anekdote wird kolportiert: In Mallorca spazieren ein deutscher und ein englischer Rentner. Woran kann man erkennen, wer wer ist? Während der Deutsche rüstig und zügig des Weges geht, hinkt der Engländer an einem Gehstock. Begründung: Der Deutsche hat eine künstliche Hüfte, der Engländer nicht, weil das englische Gesundheitssystem solche Leistungen, wenn überhaupt, ab einem gewissen Alter nicht mehr anbietet.

Nun zeigte jüngst eine Umfrage in verschiedenen Ländern, dass nur 34 Prozent der Deutschen das eigene Gesundheitssystem als gerecht empfinden, hingegen 72 Prozent der Briten das ihrige. Und dies, obwohl in England durchaus noch 20-Mann-Säle in Krankenhäusern üblich sein sollen und der Zugang zu Fachärzten erheblich komplizierter ist als in Deutschland. Das zeigt wieder einmal: Nicht die objektive Situation begründet die Meinung der Befragten, sondern die gefühlte – oder eingeredete.

Objektiv betrachtet wüsste ich kein ­Gesundheitssystem, welches nach wie vor eine derart umfassende Gesundheitsversorgung für jedermann bietet wie das deutsche System. Auch wenn in den letzten Jahren Leistungen rationiert und Zuzahlungen, die früher sowohl in der DDR als auch in der alten Bundesrepublik unbekannt waren, schrittweise ausgebaut wurden, ermöglicht das deutsche Gesundheitssystem nach Entrichtung der Praxisgebühr (Chroniker sind davon ohnehin befreit) nach wie vor eine unglaublich viel­fältige und breit gefächerte Inanspruchnahme fachärztlich-medizinischer Leistungen. Das bedeutet leider nicht, dass in diesem Gesundheits­system alles in Ordnung oder gar „gerecht“ organisiert ist …
Grund, sich über Ungerechtigkeit zu beklagen, hätten besonders Menschen – ­sicherlich zählen viele Naturarzt-Leser dazu – die versuchen, durch gesundheitsbewusste Lebensweise Krankheiten zu verhüten. Sie verhalten sich nicht nur durch Lippenbekenntnisse solidarisch, sondern aktiv, indem sie die Beanspruchung medizinischer Leistungen auf ein Mindestmaß beschränken, zudem oft in erheblichem Umfang medizinische Leistungen privat bezahlen.

Gerade diese Patienten müssen dann oft erleben, dass Krankenkassen sich stur zeigen, wenn es um eine Kostenbeteiligung an einer nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlung geht. Oft wird das Argument ins Feld geführt, eine bestimmte Methode sei wissenschaftlich nicht erwiesen oder der Medizinische Dienst (MDK) habe es abgelehnt. Der Medizinische Dienst hat jedoch nur beratende Funktion. Das Sozialgesetzbuch erlaubt ausdrücklich, dass in bestimmten Situationen die Krankenkasse eine Einzelfallentscheidung treffen darf.

Deswegen empfehle ich Ihnen: Wenn Sie unter einer schweren Krankheit leiden, und schon vieles aus eigener Tasche bezahlt haben, sprechen Sie Ihre Krankenkasse auf eine Kostenbeteiligung an und verweisen Sie auf die Möglichkeiten des Sozialgesetzbuches. Liegt eine Erkrankung vor, für die die wissenschaftliche Medizin keine grundlegende Therapie anbieten kann, ist ein Entgegenkommen durchaus möglich.

Mit den besten Grüßen