Eine umstrittene Petition und ihre Hintergründe

Droht das Aus für die Phytotherapie?

Anfang November wurden viele Freunde der Heilpflanzentherapie aufgeschreckt von der Warnung, im April 2011 werde diese verboten. Mehr als 117.000 Menschen unterschrieben daraufhin eine Petition an den Deutschen Bundestag. Ein deutliches Signal – aber gegen oder für was eigentlich?

Die Petition an den Deutschen Bundestag trug den Titel „Keine Umsetzung des EU-Verkaufsverbots für Heilpflanzen“. Doch in der entsprechenden EG-Richtlinie 2004/24 ist ein solches Verbot gar nicht beschrieben. Im Gegenteil, sie sieht eine vereinfachte Zulassung für pflanzliche Mittel vor. Allerdings mit Einschränkungen. Ursprünglich sah eine drei Jahre ältere Richtlinie vor, dass Hersteller für jedes Arzneimittel wissenschaftliche Unterlagen über Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorzulegen haben. Da dies aber viele Hersteller finanziell und organisatorisch überfordert hätte, schuf die neue Richtlinie die Möglichkeit einer vereinfachten „Registrierung“ von Arzneimitteln, die seit mindestens 30 Jahren, und davon 15 innerhalb der EU, angewendet werden.

In Deutschland kennt man die Problematik seit langem. Viele Arzneimittel, deren reguläre „Zulassung“ zu teuer und zu aufwendig geworden wäre, die aber gleichwohl eine lange Tradition bewährter Anwendung haben, wurden seit 1994 als „traditionell“ nachzugelassen. Dennoch sind in der Folgezeit, vor allem im Umfeld der „Löschliste“ 2003, eine Vielzahl von pflanzlichen Medikamenten verschwunden. Manche Hersteller gingen dazu über, Präparate so abzuwandeln, dass sie als „homöopathisch“ (Mischung von Verdünnungen) registriert werden konnten. Oder sie deklarierten ehemalige Medikamente als Nahrungsergänzungsmittel. Andere verlegten Produktion und Vertrieb ins Ausland. Das Problem bei all diesen Notlösungen: Man darf für diese Produkte nicht wie für zugelassene Arzneimittel werben.

Die EG-Richtlinie bedeutet für den deutschen Markt im Großen und Ganzen keine wesentliche Änderung. Alle bewährten Heilpflanzen, wie sie als Rohstoff z. B. der Apotheker auf Rezept zusammenstellt, bleiben erhalten. Teemischungen werden wir auch in Zukunft bekommen. Und was die Fertigarzneimittel betrifft, so sind die deutschen Hersteller längst auf dem Stand, der in anderen Ländern erst noch hergestellt werden muss. Von dort, u. a. aus Großbritannien, kommt auch der stärkste Schub, die EG-Richtlinie bzw. ihre 7-Jahres-Übergangsfrist bis zum 1. April 2011 zu kippen.

In einigen EU-Ländern gibt es viele Arzneimittel, die als Nahrungsergänzungsmittel gehandelt werden, allerdings verbunden mit Gesundheitsversprechen wie für Medikamente. Dazu zählen auch Kräutermischungen und -pillen aus dem Bereich chinesische Medizin (TCM) und Ayurveda. Solche Produkte werden teilweise auch auf dem deutschen Markt verkauft. Eine zusätzliche Hürde für eine Registrierung nach EG-Richtlinie besteht für etliche dieser Mittel darin, das sie gemäß ihrer traditionellen Medizinsysteme auch Komponenten tierischer und mineralischer Herkunft enthalten – die Richtlinie erlaubt aber ausschließlich pflanzliche Mischungen. Aus jahrelangen Diskussionen wissen wir, wie schwierig es ist, Zulassungsbehörden mit den Besonderheiten bestimmter medizinischer Systeme vertraut zu machen – selbst für in der EU lang etablierte Therapien wie Homöopathie oder anthroposophische Medizin. Entsprechend geringer sind die Chancen auf Zulassung für Präparate aus fernöstlichen Traditionen.

Es gibt noch einige andere Haken – nicht nur der EG-Richtlinie, sondern der ohnehin bestehenden rechtlichen Situation. So ist es äußerst aufwendig und fast unmöglich, ein Medikament auf den Markt zu bringen, welches Pflanzen enthält, die bisher hierzulande nicht angewendet wurden. Um manche Pflanze und um manches Präparat ist es mit Sicherheit schade. Andererseits, die wirkliche Naturheilkunde ist tendenziell „innovationsfeindlich“, da sie sich nicht von irgendwelchen tollen, neuen Medikamenten Wunder verspricht, sondern auf Bewährtes (und auf mehr als Pillen und Pülverchen) setzt. Die Mehrheit derer, die nun mit Gebrüll für die alte Handelsfreiheit kämpfen, haben bisher viel zu viel versprochen, was ihre Präparate angeblich leisten. Die Naturheilkunde wird nicht „platt gemacht“, wie es in diversen Kettenmails hieß, weil wir auf zweifelhafte exotische Pflanzenmischungen verzichten müssen oder weil manches Nahrungsergänzungsmittel nicht mehr mit Heilversprechen werben darf.

Gerne berufen sich diese Verfechter „der“ Naturheilkunde auf den mündigen Bürger, der selbst entscheiden solle. Sie verschweigen dabei, dass sie mit einem Großteil ihrer Werbung genau auf die partielle Unmündigkeit des Bürgers setzen! Ein Kranker ist nicht irgendein „Verbraucher“, der mit dem Käufer einer Waschmaschine zu vergleichen wäre, sondern er steht in einer Notsituation, in der er seine Hoffnung bevorzugt an den einen oder anderen Strohhalm hängt. Gerade er hat den besonderen Schutz vor unlauteren Heilsversprechungen – durch qualifizierte Therapeuten, aber auch durch Behörden – verdient.

Ohne Frage, das Thema ist komplex und erlaubt keine pauschalen Antworten. Gerade deshalb hätten die schlichte Weltuntergangsrhetorik der Petition und die Bittbriefe im Umfeld verdächtig sein müssen. Und doch haben viele die Petition unterzeichnet! In der Meinung, das Anliegen sei wohl gemeint. Immerhin, man kann es auch positiv sehen: Die Zahl der kurzfristig Unterzeichnenden hat dem Petitionsausschuss des Bundestages und der Öffentlichkeit ein deutliches Signal gesetzt, dass sich viele Menschen für die Naturheilkunde engagieren. Bleibt zu hoffen, wenn es mal wirklich darauf ankommt, sind es noch mehr – und nicht aufgrund solcher zweischneidiger Erfahrungen eher weniger …