Naturwissenschaftlicher Fanatismus contra Naturheilkunde

„Aufklärer“ zwischen Arroganz und Angst

Christoph Wagner, Naturarzt-Redaktion

Wissen Sie, was mich am meisten wundert an den neusten Attacken gegen die Naturheilkunde z. B. in sogenannten Wissenschaftsendungen im ZDF, aber auch in der ARD? Dieses peinliche Pathos der „Aufklärung“ bei Moderatoren und herbeizitierten Hochschulmedizinern. Die Schlaumeier vom Schlage Bublath & Co. halten das Volk schlicht für doof und begehen frei nach dem Motto „Wir wollen Euch mal die Augen öffnen“ selbststilisierte „Tabubrüche“ – als wäre diese Nummer nicht schon 100-mal vorgeführt worden.

Die pseudoaufklärerische Arroganz führt zu der verstiegenen Formulierung, Medizin dürfe „keine Frage der Volksabstimmung“ sein, Beliebtheit und Zufriedenheit seien keine sinnvollen Kriterien. Nun, in einem demokratischen Staat sollte auch die Medizin durchaus mit Demokratie zu tun haben. Welche Medizin wir wollen oder die Mehrheit will, das spielt schon eine Rolle: eine humane Medizin, die vielleicht nicht nach den selbstdefinierten (!) Kriterien der Wissenschaftsdogmatiker bewiesen ist – oder eine vermeintlich „wahre“ Medizin. Den Wissenschaftsmachos, die alles, was nicht naturwissenschaftlich bewiesen ist, und dennoch hilft, mit einem unübersehbaren Ekel als „Placebo“ abtun, wäre offenbar eine Medizin-Diktatur lieber. Mich erinnert ihre Fortschrittsideologie jedenfalls an Erich Honecker: „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.“ Man muss nur den „Sozialismus“ durch „medizinischen Fortschritt“ ersetzen.

Bekanntlich findet ja auch die „Abstimmung mit den Füßen“, nämlich in die naturheilkundlichen Praxen, längst statt. Das ist es doch, was die Heftigkeit, mit der man hier für die „Wahrheit“ argumentiert, erklärt. Besonders absurd wird es, wenn Verfechter der rein naturwissenschaftlichen Medizin so tun, als ob das Geld für die Naturheilkunde besser für den medizinischen Fortschritt verwendet werden sollte. Diesen Quatsch haben mittlerweile auch Kassenfunktionäre und sogar einige Politiker durchschaut: Die Erstattung von Komplementärmedizin kommt uns alle wesentlich günstiger als die Ausgaben für ausufernde Apparatediagnostik, oft überflüssige Operationen und eine ganze Zahl „moderner“ (d. h. teurer) Medikamente.

Für Patienten geht es natürlich nicht nur um Kosten, sondern um Besserung und Heilung – und den Schaden, der ihnen erspart bleibt. Wie oft schon hatten Patienten eine „gesicherte Diagnose“ und einen OP-Termin dazu, und kamen dann z. B. durch chinesische Medizin (TCM), Homöopathie oder Osteopathie ohne Operation aus!

Wissenschaftlich bewiesen? Die Schulmedizin tut so als ob
Apropos Operationen: Der Vorteil von Bandscheiben-OPs ist genauso wenig wissenschaftlich belegt wie der für viele Schulter-OPs, ganz zu schweigen von operativen Eingriffen am Herzen wie Herzkatheter und Ballondilatationen. Und da gerade mal wieder Grippe-Saison ist: Der Nutzen der Grippe-Impfung bleibt nach wie vor eine bloße Behauptung (vielleicht mit Ausnahme für Heimbewohner). Die Schulmedizin tut doch oft nur so als ob!

Zurück zur Bewertung der Naturheilkunde und den drei als Beispiel genannten Verfahren: Akupunktur, Homöopathie, Osteopathie. Es handelt sich um Erfahrungs(!)-heilkunde aus dem fernen Osten, aus Deutschland und aus den USA. Jedes dieser „Systeme“ hat eine eigene Logik und Sprache und erfordert zum Verständnis ein mehrjähriges „Studium“. Es ist schon frech, mit welcher Selbstverständlichkeit die Wissenschaftsfanatiker davon ausgehen – journalistische und wissenschaftliche Standards ignorierend –, dass sie von dem Thema, welches sie da bewerten, gar nichts verstehen und auch keine Sachkundigen befragen müssten. Wozu denn? Es sollen doch nur die „Fakten“ zählen. Aus solcher Blindheit entstehen dann Urteile wie, die Homöopathie habe sich „bei keiner einzigen Indikation als überlegen erwiesen“. Ja, weil es, zumindest in der klassischen Homöopathie, nicht um Indikationen geht, und in der klassischen TCM auch nicht, sondern um den individuellen Gesamtzustand des Patienten.

Richtig ist: Wenn Akupunktur, im Schnellkurs gelernt, in vielen Arzt- und Heilpraktikerpraxen in einer verwestlichten Rumpfvariante angewendet wird – nach Indikation (z. B. Kopfschmerzen) und Standardrezepten dafür (immer fünf bestimmte Akupunkturpunkte nadeln) –, dann muss sich diese Anwendung auch entsprechenden Studien stellen. Gleiches gilt für die Homöopathie: Wenn Komplexmittel für Indikationen zugelassen und beworben werden, dann eignen sie sich auch für Studien. Dies haben viele Hersteller längst begriffen und Studien nach naturwissenschaftlichem Standard durchführen lassen.

Um aber weitergehende sinnvolle Studiendesigns zu entwickeln, müsste man sich auf Sprache und Logik des Verfahrens einlassen. Davor behütet die „Aufklärer“ ihr Wissenschaftsglaube. Bloß nicht merken, dass z. B. die Logik der TCM durchaus zum Ziel führt, obwohl sie oft „nur“ bildhaft und analog zu verstehen und eben nicht in mathematische Faktoren zu zerlegen ist. Hat die Hochschulmedizin nicht lange genug kämpfen müssen, um der westlichen Medizin traditionelle, ganzheitliche Begriffe wie „Selbstregulation“, „Umstimmung“ oder „Entschlackung“ auszutreiben, weil diese ja nicht „präzise“ sind? Jetzt soll sie sich mit Yin und Yang, „zuviel Hitze“ und „Leber-Wind“ herumschlagen? Ich vermute, hinter der Arroganz des ein oder anderen Wissenschaftsfanatikers steht die Angst, dass nicht alles in die eigenen Schablonen passt. Die Angst vor dem scheinbar (!) Irrationalen lässt diese Leute irrational werden.