Veganismus: Heilkost oder gefährliche Diät?

Nach Schätzungen lebt jeder zehnte Vegetarier vegan. Rund 350.000 Veganer soll es in Deutschland geben. Sie essen weder Fleisch noch Fisch, Milchprodukte oder Eier. Viele von ihnen meiden darüber hinaus Honig und achten auch bei Kleidung (keine Wolle oder Seide), Schuhen (kein Leder) und Medikamenten (keine Gelatine) auf Tierproduktefreiheit. Eine Lebensform, die sich so deutlich von der Mehrheit abgrenzt, provoziert Widerspruch. Für viele Normalesser, aber auch für Vegetarier, stellt sich schlicht die Frage: „Geht das überhaupt, sich vegan zu ernähren? Ist das nicht ungesund oder gar gefährlich?“

In einer 2006 vorgestellten amerikanischen Studie mit Diabetikern wurde vegane Ernährung als Therapie eingesetzt. 43 Prozent der Patienten konnten nach einem halben Jahr die antidiabetischen Medikamente reduzieren – in der Kontrollgruppe, die immerhin die von der Amerikanischen Diabetesgesellschaft empfohlene Diät befolgte – waren es nur 26 Prozent. Die veganen Patienten nahmen in dieser Zeit um 6,5 kg ab, die anderen im Durchschnitt nur 3,1 kg.

Aufschlussreich in Bezug auf gesundheitliche Vor- und Nachteile veganer Kost sind die Ergebnisse der „Deutschen Vegan Studie“ (DVS), die die Professoren Claus Leitzmann (Uni Gießen) und Andreas Hahn (Uni Hannover) initiiert hatten. Von 870 interessierten Personen wurden letztlich 150 in den Jahren 1993 bis 2000 untersucht. Prof. Leitzmann betont die positiven Aspekte des Veganismus: „Wenn alle Menschen vegan leben würden, sähe es besser um die Gesundheit der Menschen, der Umwelt und der Gesellschaft aus.“ Auch die Ergebnisse der Deutschen Vegan Studie interpretiert er zunächst einmal positiv und verweist z. B. auf das günstige Blutfettprofil und den hohen Gehalt an antioxidativen Substanzen im Blut der Veganer.

Andererseits ergab die DVS, dass für einige Nährstoffe ein möglicherweise bedenklicher Mangel entstehen kann: Der problematischste Nährstoff für Veganer ist Vitamin B12. Er wird von Mikroorganismen produziert und kommt nennenswert nur in tierischen Produkten vor. Zwar braucht der Mensch nur sehr wenig Vitamin B12. Dennoch tritt eventuell nach mehreren Jahren (!) ein gravierender Mangel auf. Deshalb empfehlen vegane Vereinigungen, Vitamin B12 in Form von Nahrungsergänzungen (oder in angereicherten Lebensmitteln) zu sich zu nehmen. Insbesondere bei Kleinkindern und stillenden Müttern sollte dies in jedem Fall erfolgen.

Für Frauen kann auch eine Nahrungsergänzung mit Eisen nötig werden. Außerdem sind eventuell Kalzium und Vitamin D nicht ausreichend vorhanden. Allerdings lassen sich diese Risiken bei gutem Informationsstand und entsprechend vielseitiger Ernährungspraxis vermeiden.

Veganismus aus gesundheitlicher Sicht zu beurteilen führt beim derzeitigen Erkenntnisstand zu einem klaren „einerseits-andererseits“: Die vegane Kost kann therapeutische und prophylaktische Effekte haben, z. B. in Bezug auf Allergien, Neurodermitis, Heuschnupfen, Rheuma, Bluthochdruck, Arteriosklerose bzw. koronare Herzerkrankungen. Dazu liegen reichlich positive Erfahrungen aus der Naturheilkunde vor.

Ob sich vegane Kost aber als Dauerernährung eignet, hängt im Einzelfall von verschiedenen Faktoren wie Geschlecht (erhöhte Risiken für Frauen), Alter (Kleinkinder, Kinder), Lebensphase/Belastung (Schwangerschaft) und Konstitution (z. B. Tendenz zu Untergewicht) ab. Zumindest bei Säuglingen und Kleinkindern überwiegen offenbar die Risiken der veganen Ernährung einen möglichen Nutzen. Erwachsene können problemlos eine längere Zeit, z. B. für eine Heuschnupfensaison oder auch ein Jahr, vegan leben. Darüber hinaus scheint es jedoch sicherer, die vegane Kost nur als Basis zu betrachten, von der man auch „Ausflüge“ in den Bereich Fisch, Fleisch, Milchprodukte oder Eier zulässt. Jeder strikte Langzeitveganer sollte seinen Gesundheitszustand im Detail kennen und eventuell Nahrungsergänzungsmittel einnehmen.